OSM und Großveranstaltungen: die Fussball-WM in Rio

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Michaela Fendt, Marlene Huschik, Colin Meier

Verändert sich die Open Source Datenbank Open Street Map (OSM) im Kontext von Großveranstaltungen? Im Rahmen dieser Untersuchung wird die Fußballweltmeisterschaft in Brasilien 2014 als Beispiel eines Events mit globaler Relevanz herangezogen. Um die möglichen Auswirkungen der WM auf die Aktivitäten der OSM-Community genauer feststellen zu können, begrenzen sich die vorliegenden Analysen auf den WM-Austragungsort Rio de Janeiro. Im Folgenden fließen sowohl Inhalte, Userstrukturen als auch Zeit und Raum als Komponenten in die Analyse der OSM Mapper-Aktivitäten mit ein. Hierbei soll u.a. der Fragestellung nachgegangen werden, wie sich der Einfluss von Besuchern (Touristen) der Großveranstaltung auf OSM in Rio de Janeiros gestaltet.

Die Zeitreihenanalyse der Daten (vgl. Abb. 1) zeigt die Anzahl aller nodes und ways, die seit Beginn der OSM-Kartierung in Rio 2007 eingespeist wurden. Die ersten, quantitativ größeren Eintragungen wurden dort im Jahr 2009 vorgenommen. Seit dem hat die Anzahl stark zugenommen. Der bedeutende Anstieg in 2014 könnte zunächst auf eine Bestätigung der These, die WM habe einen positiven Einfluss auf die Menge der Eintragungen gehabt, hinweisen. Um dies zu untersuchen, wurde der Untersuchungszeitraum (März bis November 2014) in je drei Teilzeiträume à drei Monate („vor“, „während“ und „nach der WM“) untergliedert.

Abb. 1: Zeitreihenanalyse der OSM-Datenbank in Rio de Janeiro (eigene Darstellung).
  Abb. 1: Zeitreihenanalyse der OSM-Datenbank in Rio de Janeiro (eigene Darstellung).

Ausgehend von der Annahme, dass sich Besucher der WM primär in vermeintlich touristischen Arealen Rio de Janeiros aufhalten, wurden aufbauend auf Recherchen drei Zonen (Buffer) mit hohem touristischem Wiedererkennungswert definiert. Hierzu zählen das Ausgehzentrum Lapa, die Strände Copacabana und Ipanema sowie das, besonders im Kontext der WM relevante, Fußballstadion Maracanã. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, ob sich die OSM-Aktivitäten während des Untersuchungszeitraumes (vgl. Karte 3) innerhalb dieser Buffer konzentrieren oder nicht.

Betrachtet man die Dichte der eingetragenen Nodes in den jeweiligen Teilzeiträumen fällt insbesondere eine hohe Nodedichte im Umfeld des Maracanã während des WM-Zeitraumes auf (vgl. Karte 2). Auch um Lapa ist für diesen Teilzeitraum eine relativ hohe Dichte an Node-Eintragungen festzustellen, welche sich als West-Ost Achse weiter bis hin zum Maracanã erstreckt. Der etwas entfernter gelegene Buffer Copacabana/Ipanema weist im Vergleich dazu in allen Teilzeiträumen eine vergleichsweise geringe Dichte an Eintragungen auf.
Die im Süd-Westen beobachtbare, mittlere Nodedichte während des gesamten Untersuchungszeitraumes weist auf einen indirekten Zusammenhang mit der WM hin (vgl. Karte 1). Gerade an dieser Stelle wurden von März bis November 2014 vermehrt Straßenzüge gemappt.

In diesem Zusammenhang schrieb Fernando Trebien, ein höchst aktiver brasilianischer Mapper:

„Moreover, in preparation for the World Cup (2014) and the Olympics (2016), there is a lot of construction work going on and many ways have changed, making most commercial navigation units in the market useless. The best ones haven’t been updated in my area for the last 2 years. Bad for residents and for visitors. But with OpenStreetMap, I quickly fixed the routes along all places I visit regularly and now it’s the best resource available for local route planning.“

(http://wiki.openstreetmap.org/wiki/User:Ftrebien ; letzter Zugang: 11.03.15 ; eigene Hervorhebungen).

Hier scheinen also die im Rahmen der WM durchgeführten städtebaulichen Veränderungen von besonderer Bedeutung zu sein. Dennoch lässt sich ein beachtlicher Teil der Nodedichte im Süd-Westen auf einen einzigen, lokalen User zurückzuführen, welcher überwiegend den Parque Estadual da Pedra Branca kartiert hat. In diesem Fall ist ein direkter Zusammenhang mit der WM als fragwürdig einzustufen.

Karte 1: Dichte der eingetragenen Nodes im gesamten Untersuchungszeitraum März-November (eigene Darstellung 2015).
Karte 1: Dichte der eingetragenen Nodes im gesamten Untersuchungszeitraum März-November (eigene Darstellung 2015).
Karte 2: Dichte der eingetragenen Nodes im Teilzeitraum Juni-August. Ausschnitt mit Fokus auf touristische Zonen (eigene Darstellung 2015).
Karte 2: Dichte der eingetragenen Nodes im Teilzeitraum Juni-August. Ausschnitt mit Fokus auf touristische Zonen (eigene Darstellung 2015).
Karte 3: Dichte der eingetragenen Nodes im gesamten Untersuchungszeitraum März-November. Ausschnitt mit Fokus auf touristische Zonen (eigene Darstellung 2015).
Karte 3: Dichte der eingetragenen Nodes im gesamten Untersuchungszeitraum März-November. Ausschnitt mit Fokus auf touristische Zonen (eigene Darstellung 2015).

Vergleicht man die Anzahl der im Untersuchungszeitraum eingetragenen Nodes mit der durchschnittlichen Anzahl der Eintragungen im Vergleichszeitraum der Jahre zuvor (2009 bis 2014) fällt eine erhöhte Mapper-Aktivität in den ausgewiesenen Buffer-Zonen während des WM- Jahres auf (vgl. Tabelle 1). So sind während des Untersuchungszeitraumes mehr Node-Eintragungen um Maracanã getätigt worden als die Jahre zuvor, was den Rückschluss auf eine überdurchschnittliche Aktivität im Kontext der Großveranstaltung in diesem Bereich zulässt. Ähnlich gestaltet es sich im Ausgehzentrum Lapa. Lediglich im Buffer Copacabana/Ipanema, in welchem die Anzahl der Node-Eintragungen unter dem Durchschnitt der vorherigen Jahre liegt, zeichnet sich ein gegenläufiges Bild ab.

  Tabelle 1: Eingetragene Nodes innerhalb ausgewählter touristischer Gebiete (eigene Darstellung 2015).

Aufgrund der überdurchschnittlichen Mapper-Aktivitäten im Bereich des Stadions Maracanã während des Untersuchungszeitraumes werden dort die Node-Eintragungen noch nach den jeweiligen Zeiträumen unterteilt, innerhalb welcher diese eingetragen wurden (vgl. Karte 4). Dabei wird ersichtlich, dass besonders während der WM (Juni-August) das Fußballstadion und dessen Umfeld kartiert wurden. Hier scheint es also auf den ersten Blick einen Zusammenhang zwischen der Großveranstaltung und den Mapper-Aktivitäten zu ergeben, welcher sich in einer erhöhten Anzahl an Node-Eintragungen während der Austragung der WM-Spiele in diesem Stadion äußert.

Karte 4: Eingetragenen Nodes im Buffer Maracanã März-November (eigene Darstellung 2015).
  Karte 4: Eingetragenen Nodes im Buffer Maracanã März-November (eigene Darstellung 2015).

Betrachtet man allerdings die gesamte prozentuale Verteilung aller eingetragenen Nodes innerhalb der jeweiligen Teilzeiträume zeigt sich, dass mehr als die Hälfte der Node-Eintragungen erst im letzten Zeitraum, also „nach der WM“ stattgefunden haben (vgl. Abb. 2). Im Vergleich zu den Jahren zuvor waren darüber hinaus die prozentualen Anteile der eingetragenen Nodes in den Monaten Juni bis August während des WM-Jahres unterdurchschnittlich. Zu berücksichtigen ist zudem, dass ein beträchtlicher Anteil (89,79%) der im letzten Teilzeitraum 2014 eingetragenen Nodes (102.962) auf einen einzigen User zurückzuführen sind.

Abb. 2: Anteile an gesamten editierten Nodes für den Untersuchungszeitraum März bis November 2014 (N=196.353), nach einzelnen Zeiträumen sowie im Durchschnitt der Jahre 2009-2014 (eigene Darstellung 2015).
Abb. 2: Anteile an gesamten editierten Nodes für den Untersuchungszeitraum März bis    November 2014 (N=196.353), nach einzelnen Zeiträumen sowie im Durchschnitt der Jahre 2009-2014 (eigene Darstellung 2015).

Hinsichtlich der  editierten Ways der Teilzeiträume im Jahr 2014, ähnelt die Verteilung dagegen sehr stark der durchschnittlichen Verteilung in den Vergleichszeiträumen der Vorjahre (vgl. Abb. 3). Hier fällt der hohe Anteil an Way-Eintragungen in den Monaten Juni-August, also „während der WM“ auf. Der Anteil an Way-Eintragungen im Zeitraum „nach der WM“ fällt etwas niedriger aus als in den Vorjahren, dafür wurden im Zeitraum „vor der WM“ prozentual mehr Way-Eintragungen vorgenommen. Die Unterschiede fallen hier jedoch sehr gering aus, was den Rückschluss auf einen relativ geringen Einfluss der Großveranstaltung in diesem Zusammenhang zulässt.

Abb. 3: Anteile an gesamten editierten Ways für den Untersuchungszeitraum März bis November 2014 (N=22.123), nach einzelnen Zeiträumen sowie im Durchschnitt der Jahre 2009-2014 (eigene Darstellung 2015).
Abb. 3: Anteile an gesamten editierten Ways für den Untersuchungszeitraum März bis November 2014 (N=22.123), nach einzelnen Zeiträumen sowie im Durchschnitt der Jahre 2009-2014 (eigene Darstellung 2015).

Um zu untersuchen, wie sich die Aktivität und Zusammensetzung der Mapper-Community während einer derartigen Großveranstaltung verhält, wurde eine Klassifizierung der User vorgenommen, die die Mapper in drei Kategorien einordnet. Die Kategorien geben an, ob ein Mapper in einem, zwei oder allen drei der festgelegten Teilzeiträume vor, während und nach der WM aktiv war. Bei einem Mapper, der in allen drei Zeiträumen Eintragungen vorgenommen hat kann davon ausgegangen werden, dass es sich auf Grund der Dauer seines Aufenthaltes in Rio um einen „Local“, d.h. Brasilianer oder in Brasilien lebende User, handelt. Um diese These zu überprüfen wurden die von OSM abrufbaren Heat Maps (abzurufen unter: http://yosmhm.neis-one.org/) der einzelnen User sowie deren OSM-Profil auf ihre Herkunft hin überprüft (nach Abgleich mit frei zugänglichen Informationen über

http://wiki.openstreetmap.org ; http://www. openstreetmap.org; sowie dort vorgefundenen weiterführenden Links). Es war festzustellen, dass die User, welche in allen drei Teilzeiträumen aktiv waren, höchstwahrscheinlich auch aus Brasilien stammen. Auch die Mapper, die in zwei der drei Zeiträume aktiv waren, stammen, zumindest überwiegend, aus Brasilien. Ausgehend von diesen Grundannahmen lässt sich für den gesamten Untersuchungszeitraum eine sehr hohe Aktivität der lokalen OSM-Community feststellen. So wurden von März bis November 2014 die meisten Ways durch die Mapper-Kategorien „2 und 3 aktive Zeiträume“, also durch lokale Mapper, eingetragen (vgl. Abb. 4).

Abb. 4: Anteile der Mapper nach Anzahl ihrer aktiven Zeiträume an den eingetragenen Ways für verschiedene Zeiträume in 2014 (eigene Darstellung 2015).
Abb. 4: Anteile der Mapper nach Anzahl ihrer aktiven Zeiträume an den eingetragenen Ways für verschiedene Zeiträume in 2014 (eigene Darstellung 2015).

Analysiert man dahingegen die Node-Eintragungen hinsichtlich der jeweiligen Mapper-Kategorie, so wurden von März bis Mai 2014 vergleichsweise viele Nodes durch die Mapper-Kategorie „1 aktiver Zeitraum“ eingetragen, innerhalb welcher sich neben der brasilianischen Community auch noch internationale Mapper u.a. aus Europa, den USA, Asien und Russland finden (vgl. Abb. 5).

Abb. 5: Anteile der Mapper nach Anzahl ihrer aktiven Zeiträume an den eingetragenen Nodes für verschiedene Zeiträume in 2014 (eigene Darstellung 2015).
Abb. 5: Anteile der Mapper nach Anzahl ihrer aktiven Zeiträume an den eingetragenen Nodes für verschiedene Zeiträume in 2014 (eigene Darstellung 2015).

Hierbei handelt es sich also um potentielle Touristen, welche die Stadt möglicherweise im Zuge der Großveranstaltung aufgesucht und OSM-Eintragungen vorgenommen haben. Um dies genauer untersuchen zu können, müssten weiterführende, qualitative Interviews mit den jeweiligen Usern vorgenommen werden. Insgesamt lässt sich jedoch für diese Mapper-Kategorie eine eher untergeordnete Rolle feststellen, die lokale, brasilianische Community nimmt dahingegen eine dominante Rolle hinsichtlich der Node- und Way- Eintragungen ein.

Wie gestaltet sich der Einfluss von Großveranstaltungen auf Kartierungsinhalte, also auf das, was gemappt wird? Um dieser Frage nachzugehen soll nun dargestellt werden, welche Objekte im zeitlichen Zusammenhang mit der WM in die OSM-Datenbank eingetragen werden. Hierfür fokussieren wir unsere Analyse auf den Tag Amenity, mit welchem Besucher / Anwohner verschiedenste Einrichtungen (z.B. Schulen, Bars, Banken etc.) in die OSM-Datenbank einpflegen. Im Folgenden werden die Amenities hinsichtlich der Häufigkeit einzelner Values analysiert. Dabei wird darüber hinaus zwischen den Eintragungen im Untersuchungszeitraum und denen im Zeitraum Januar 2009 bis Februar 2015, also seit Beginn der Mapper-Aktivitäten in Rio de Janeiro, verglichen, um mögliche Abweichungen / Veränderungen im Zuge der Großveranstaltung feststellen zu können.

Während von Januar 2009 bis Februar 2015 school den bedeutendsten Value darstellt (vgl. Abb. 6), nimmt dieser im Untersuchungszeitraum März bis November 2014 einen geringeren Anteil an vergebenen Values ein (vgl. Abb. 6 und 7). Auch die Values telephone und pub nehmen im Untersuchungszeitraum eine geringere Rolle ein. Dahingegen werden die Values bus_station und pharmacy im Untersuchungszeitraum vergleichsweise häufiger eingetragen als von 2009 bis Anfang 2015 (vgl. Abb. 7).

Abb. 6: Die 10 wichtigsten Amenities Januar 2009 bis Februar 2015 in Rio (N=7.039; eigene Darstellung 2015).
Abb. 6: Die 10 wichtigsten Amenities Januar 2009 bis Februar 2015 in Rio (N=7.039; eigene Darstellung 2015).
Abb. 7: Die 10 wichtigsten Amenities März bis November 2014 in Rio (N=1.256; eigene Darstellung 2015).
 Abb. 7: Die 10 wichtigsten Amenities März bis November 2014 in Rio (N=1.256; eigene Darstellung 2015).

Im zeitlichen Vergleich lassen sich also Unterschiede hinsichtlich der Häufigkeit bestimmter Values bei den Amenity-Eintragungen feststellen. In diesem Zusammenhang könnte die Annahme aufgestellt werden, dass im Zuge der Großveranstaltung vermehrt “für Besucher relevante” Einrichtungen wie Restaurants, Bushaltestellen oder Fahrradständer und -verleih markiert werden. Die Unterschiede sind hier jedoch ebenfalls als eher gering einzustufen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die WM als Großveranstaltung Auswirkungen auf bestimmte Aspekte der „OSM-Welt“ in Rio de Janeiro hatte, diese jedoch nicht als besonders hoch einzustufen sind. Die WM hat eine räumliche Konzentration der OSM-Aktivitäten auf WM-relevante Areale (Fußballstadion) sowie auf touristisch relevante Zonen in der Nähe bewirkt, welche im Vergleich zu den Vorjahren ein erhöhtes Interesse seitens der OSM-Community erfahren haben. Auch indirekte Auswirkungen der Großveranstaltung, wie sie sich beispielsweise durch Infrastrukturmaßnahmen weiter ergeben haben, wirkten sich auf die Mapper-Aktivitäten aus. In Bezug auf die Zusammensetzung der Mapper-Community haben die Analysen den Rückschluss auf eine sehr starke Rolle der lokalen User im Zeitraum der Großveranstaltung zugelassen. Diese starke, lokale Mapper-Community wurde zwar im Zeitraum vor der WM-Austragung etwas von einer internationalen User-Community „durchbrochen“, der Einfluss der eventuellen Touristenmapper gestaltet sich prozentual jedoch eher gering. Auch der „WM-Effekt“ auf die Inhalte der OSM-Eintragungen erweist sich nicht als eindeutig. Um im diesen Zusammenhang weiter der Frage nachzugehen, wie sich OSM-Datenbanken im Zuge von Großveranstaltungen verhalten, könnte im Anschluss dieser Arbeit eine weiterführende Analyse der OSM-Welt Rio de Janeiros im Kontext der Olympischen Spiele 2016 durchgeführt und mit den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit verglichen werden.